Der Mensch entfaltet seine Potenziale
dort, wo er spielt, denn Begeisterung
ist „Dünger“ für das Gehirn.
Diese Erkenntnis der modernen
Neurowissenschaft macht sich Carsten
Beyreuther in seinem kybernetischen
Lernsystem zunutze.
Worauf es noch ankommt, um besser zu
lernen und das Leben zu meistern, verriet
Professor Gerald Hüther in einem
persönlichen Gespräch mit
diesem Magazin.
SPIELERISCH
LERNEN
Professor Gerald Hüther
In seinem Verkaufstraining betreibt Carsten Beyreuther ein sogenanntes „Blended Learning“ – übersetzt
so viel wie vermischtes Lernen. Er entwickelte dafür
Lernspiele, die auf bekannten Gesellschaftsspielen,
wie „Monopoly“, „Das Spiel des Lebens“ oder „Halli
Galli“ basieren. In seinem „Spiel des Verkaufens“ gibt
es Aufgaben, wie ein Verkaufsgespräch rückwärts zu
simulieren. Diese Aufgabe diene dazu, die Flexibilität
im System zu erlernen. Die Lernspiele sollen dabei
helfen, nachhaltig zu lernen. Denn Lernen müsse
Spaß machen. Zudem sei jeder bestrebt, der Beste
im Spiel zu sein, das einen zusätzlichen Anreiz zum
Lernen biete. Durch den Freudenzustand, in den die
Teilnehmenden spielerisch hineinversetzt werden,
nehmen diese auch die Zeit ganz anders war: „Eineinhalb Stunden fühlen sich an wie fünf Minuten.
So macht Unterricht Spaß“, erzählt Beyreuther. Den
Impuls dazu hat er von dem Neurowissenschaftler
und Gehirnforscher Professor Gerald Hüther bekommen. Nach dessen Erkenntnis kann Lernen
nur nachhaltig gestaltet werden, wenn es „unter die
Haut“ geht, also emotional aufgeladen wird.
Ein Vermittler von Wissen
Einer der bekanntesten Neurobiologen und
Gehirnforscher Deutschlands ist aber mittlerweile vor allem eins und das ist Sachbuchautor. Publikationen hat er schon viele herausgebracht. Wie zum Beispiel „Mit Freude
lernen ein Leben lang“, um nur einen der vielen
Titel zu nennen. „Das habe ich geschrieben, weil
ich gemerkt habe, dass dieses Lernkonzept, was
wir unter Lernen verstehen, von Pädagogen oder
Pfarrern oder irgendjemandem erfunden worden
ist und dass das gar nichts damit zu tun hat, wie
in der Biologie, also im Lebendigen, gelernt wird.
Wir denken ja, Lernen spielt sich in der Schule ab“,
erzählt Hüther. Er schreibe Bücher, weil er etwas
verstehen wolle, und bezeichnet sich selbst als
„Vermittler von Wissen“ und „Brückenbauer zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und der
Lebenspraxis“. Sein neuestes Buch „Was schenken wir unseren Kindern? Eine Entscheidungshilfe“ schrieb er gemeinsam mit André Stern. In
dem Buch geht es darum, dass Geschenke
fragwürdige Verführungen seien, die Kinder
die Kraft rauben würden, ihre Potenziale zu
entfalten und ein eigenverantwortliches Leben zu gestalten.
Von Hirnforschung und Potenzialentfaltung
Geboren ist Prof. Dr. Hüther 1951 im in der ehemaligen DDR liegenden Emleben/Gotha. Er erzählt, dass er sich als kleiner Junge in die Vielfalt
des Lebendigen verliebt habe und schnell lernte,
wie die verschiedenen Tiere und Pflanzen heißen. „Irgendwann habe ich gedacht, ich könnte
Biologie studieren.“ Er strengte sich also in der
Schule an, um die entsprechenden Zensuren zu
bekommen. An der Universität Leipzig studierte
er dann die Lehre des Lebens. Er schloss ein Fachstudium in Tierphysiologie an und kam von dort
zur Neurobiologie, in der er promovierte. Hüther
floh 1978 aus der DDR und kam nach Göttingen,
wo er an der dortigen Universität habilitierte und
Professor wurde. Seine neurobiologische Forschungstätigkeit am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen stellte er ein,
als er merkte, dass er immer weniger versteht,
wie alles miteinander verknüpft ist, solange
er das Gehirn in immer kleinere Einzelteile zerlegt. Auch seine Forschung
neurobiologischer Grundlagen
psychischer Störungen an der
Psychiatrischen Universitätsklinik Göttingen wurde
für ihn zu einem fragwürdigen Unterfangen: Die
Mehrzahl der psychischen Störungen seien
nicht im Gehirn begründet, sondern in ungünstigen, krank machenden Beziehungserfahrungen.
Als er merkte, dass er sich weit entfernt hat von
dem, was er eigentlich machen wollte, ist er Sachbuchautor geworden. Zudem ist Hüther Vorstand
der Akademie für Potentialentfaltung in Göttingen, Wien und Zürich. „Menschen wollen sich
entfalten, geraten dabei aber in eine vorgefertigte
gesellschaftliche Struktur – Familie, Kindergarten,
Schule und Beruf. In diese Strukturen müssen sie
sich selber verwickeln und bestimmte Anteile von
ihnen unterdrücken. Wenn ein Kind zum Beispiel
in der Schule ist, muss es die Lust an der Bewegung unterdrücken. In der Hirnforschung würde
man sagen, da wird eine Hemmung drübergelegt“, erläutert der Neurobiologe. Diese zu lösen,
also sich zu entwickeln, nenne man Potenzialentfaltung, die ein ständiger Lernprozess sei. „Die
Botschaft der Akademie: Einem alleine fällt dies
ziemlich schwer und es ist besser, wenn sich Menschen als Gemeinschaft auf den Weg machen,
um ein gemeinsames Anliegen zu verfolgen.“
Andere Erfahrungsräume schaffen
Wir würden das Lernen mit der Schule verbinden, aber in Wirklichkeit jeden Tag lernen.
Gerald Hüther ist ein Systemgegner der klassischen Schulform, denn dort würden Kinder
nur lernen, „dass es keinen Spaß macht zu
lernen“. Er sieht die Schule als einen Ausbildungsort und keinen Lernort. „Ausbildung
heißt, dass sie sich Kompetenzen aneignen,
mit denen sie sich in der gegenwärtigen Welt
zurechtfinden. Doch eine Ausbildung führt
nicht dazu, dass sie ihr Leben meistern können“, erklärt Hüther. Man müsse die Schule
darauf zurückdrängen, was sie ist: eine Ausbildungseinrichtung. „Damit die jungen Leute
das, was wir Bildung nennen, erfahren können, müssen wir als Gesellschaft andere Erfahrungsräume und Orte schaffen. Das kann
dann der Sportverein, die Kommune, der Gartenverein oder die Feuerwehr sein. Das sind
ganz andere Bereiche. Die Schule hat sich ein
Monopol für Bildung angeeignet, das ihr gar
nicht zusteht und dem sie auch nicht gerecht
werden kann.“
» WENN UNSERE KINDER OHNE DRUCK
ETWAS BESTIMMTES LERNEN SOLLEN,
DANN FANGEN SIE AN ZU SPIELEN. «
„Begeisterung ist Dünger fürs Gehirn“
Wie kann man nun aber besser lernen? Es muss
unter die Haut gehen, denn „Begeisterung ist
Dünger fürs Gehirn“. Die emotionalen Zentren im
Hirn müssen aktiviert werden und dies geschehe
am besten, wenn man sich wirklich für eine Sache interessiert, sich also in seinem Element fühlt.
„Wenn unsere Kinder ohne Druck etwas Bestimmtes lernen sollen, dann fangen sie an zu spielen. Sie
würden auch Lesen, Schreiben und Rechnen lernen, wenn sie nicht dazu gezwungen werden würden und sich das spielerisch aneignen können“,
erklärt Hüther. Kinder würden zudem viel durch
Nachahmung lernen: „Sie sehen, dass die Erwachsenen das können und dass das so wichtig ist wie
das Laufen.“ Zudem kann Lernen auch emotional
an eine Person gebunden werden. Einerseits interessiert man sich für etwas, was diese Person auch
mag, und mache dies dann nach, anderseits eignet man sich auch nur etwas an, um dieser Person zu gefallen. „Da lernen die Kinder Mathe, aber
nicht weil sie Mathe lernen wollen, sondern um der
Lehrerin zu gefallen“, gibt Hüther ein Beispiel. „Sie
lernen aber eher, wie man sich bei anderen Leuten einschmeichelt.“ Deshalb sei es auch wichtig,
dass der Impuls, etwas zu lernen, von einem selbst
ausgeht. Je nach Interesse und Voraussetzungen
empfinden wir manche Lerninhalte wichtiger als
andere. Diese für uns emotional wichtigen Lerninhalte werden besser in unserem Gehirn verankert als solche, die von außen aufgezwungen werden, die wir als unwichtig empfinden. „Ich bin der
Akteur, um mir Wissen anzueignen, selbst wenn
ich mir von außen Hilfe hole.“
Botenstoffe und Eiweißmoleküle
Der Neurobiologe wollte zum Beispiel als Kind
etwas über die Falknerei lernen. Bücher über diese waren damals in der DDR jedoch nur in der
Schlossbibliothek zu finden und in mittelalterlicher
Schrift verfasst, die Hüther lernte, um diese Bücher
lesen zu können. „Ich habe meine Nachmittage in
der Schlossbibliothek verbracht, um diese mittelalterliche Schrift lesen zu können, und kann sie
heute noch lesen.“ Das geschieht konkret beim
Lernen im Gehirn: Bei Freude oder Begeisterung
werden automatisch sogenannte neuroplastische
Botenstoffe ausgeschüttet. Durch die Impulsgeber Endorphin, Dopamin oder Oxytocin werden Eiweißmoleküle gebildet, die der Mensch benötigt,
um neue Fortsätze im Gehirn zu bilden oder neue
Kontakte zu knüpfen. Einfach ausgedrückt: Durch
begeistertes Lernen wird das Gehirn durch Botenstoffe „gedüngt“, Eiweißmoleküle beschleunigen
dann die neuronalen Netzwerke und das macht
dann das Lernen und Erinnern aus.
Darüber hinaus gibt es durchaus noch weitere
nützliche Hilfsmittel, um besser zu lernen: „Wenn
sich jemand für irgendwas wirklich interessiert, findet er die Tricks selber“, hält Hüther abschließend
fest. Der Professor erinnert sich diesbezüglich an
seine Schulzeit, in der er sich Spickzettel geschrieben hat, durch die er gelernt hat.